Eine gute Rede bahnt den Weg zum Verstand und öffnet einen Schleichweg zum Herzen. Was sind meine sachlichen und meine emotionalen Kern-Botschaften? Was ist der Rahmen der Rede? Wer soll angesprochen werden? Wie kann ich meine ZuhörerInnen mit Worten fesseln? Wie kann ich ihre Herzen gewinnen? 4/2023
Die Laut-Stimme ist – nicht nur bei Menschen – das Medium der Affekte. Jedes Jammern, Klagen und Schreien überträgt unwillkürlich Emotionen. Das Schreien eines Kindes ist unwiderstehlich. Die Stimme wird moduliert durch Tonlage, Lautstärke und durch Rhythmus. Auch durch Zögern und Stottern werden affektive Botschaften gestaltet. Zwischen- und Untertöne lassen sich nicht wieder löschen. Der schlichte Satz: „Ich komme gleich zu Dir" ist je nach Stimmlage ein freundliches Angebot oder eine gewalttätige Drohung. Als Medium der emotionalen Interaktion ist die Laut-Stimme - neben der visuelle Mimik - bestimmend für die sozialen Beziehungen zwischen Menschen. Auch ohne Worte kommuniziert der Klang der Stimme – Gesang – emotionale Botschaften. Intonation und Rhythmus der mütterlichen Stimme beeinflussen die Gestimmtheit des Ungeborenen und die frühkindliche Entwicklung. Und sie bilden die Grundlage für das Erlernen der Prosodie jener ersten Sprache. Der Überschuss der Laut-Stimme gegenüber der Wort-Sprache geht in der Schrift verloren, Dichtung versucht ihn zu retten.
Drei Tipps für eine misslingende Rede
Tipp 1: Bereiten Sie sich gut vor, lesen Sie möglichst alles vom Blatt. Der Inhalt des Vertrages geht über alles. Hauptsache, jeder Teil-, Seiten- und Spezialaspekt wird beleuchtet. Das funktioniert nur, wenn er schriftlich festgehalten wurde. Eine Vor-Lesung darf mit komplizierten Satzkonstruktionen arbeiten, die in freier Rede nie gelingen würden. Eingeschobene Nebensätze und Partizipialkonstruktionen spiegeln die Komplexität des Themas wieder. Umkreisen Sie das Thema! Ausschweifende Abschweifungen zeigen, dass die RednerInnen ein breites Wissen haben. Wer nicht mitkommt, kann es ja nachlesen. Tipp 2: Lassen Sie im Nebulösen, worüber Sie eigentlich reden wollen. Damit lässt sich praktisch jeder Inhalt bei jeder Gelegenheit anbringen. Besonders wenn Sie eigentlich zum Thema wenig zu sagen haben, helfen allgemeine Phrasen, Plattitüden und kleine Witzchen über die Zeit. Ein großer Teil der Aufmerksamkeit des schlichten Publikums richtet sich sowieso auf das Erscheinungsbild des Redners. Das sind die, die sich vor allem daran erinnern, wie der Vortragende gekleidet war. Tipp 3: Je wichtiger das Thema, desto länger der Vortrag. Wenn die Hälfte des Publikums schläft, zeigt dass nur, dass mancher, der Abitur gemacht hat, nie gelernt hat, sich zu konzentrieren. Zeigen Sie ihren Zuhörern, wie schlau Sie sind. Dafür gibt es Redewendungen wie: „Aber wenn ich Ihnen das auch noch erklären müsste, würde das den Rahmen der Veranstaltung sprengen." Das sorgt für Bewunderung. Man redet nicht für die, die nur auf das Büffet warten.
Im Ernst:
Thema Nummer eins - das Lampenfieber.
Es verfliegt, wenn ich mir vor dem Auftritt eine Minute Zeit nehme für autosuggestive Botschaften. Ich schließe die Augen. Ich atmen ganz bewusst tief ein und aus. (Nicht Schultern hochziehen, in den Bauch atmen!) Ich richte meinen Körper auf. Ich rufe folgende Gedanken ab:
- Ich freue mich auf den Auftritt.
- Ich bin bestens vorbereitet.
- Das Publikum ist gekommen, um mir zuzuhören.
- Ich atme tief durch.
- Ich habe meinen Körper unter Kontrolle.
- Ich kann das.
- Ich habe etwas zu sagen.
- Ich bin bestens vorbereitet.
- Ich habe alle Unterlagen, die ich brauche.
- Ich fühle mich wohl.
- Ich freue mich auf mein Publikum.
Ich öffne die Augen, atme aus. Ich trete selbstbewusst ins Rampenlicht, ohne verlegenes Räuspern. Ich trete auf.
Ich rede mit Menschen, nicht über Sachen.
Ich stelle Kontakt zum Publikum her - mit meinem Blick. Ich wechsele die Blickrichtung, damit sich alle im Auditorium „gemeint" fühlen. Ich stelle verbalen Kontakt her mit (rhetorischen) Fragen an das Publikum. „Fragen Sie sich das nicht auch manchmal?“ Die ZuhörerInnen sind meine Gesprächspartner. Die Form eines Gespräches stellt eine Beziehung zu Menschen her. Ich bin souverän, weil ich damit umgehen kann, dass ich nicht perfekt bin. Motivation entsteht durch Emotion, nicht durch Perfektion. Persönliche Elemente in der Rede vermitteln Glaubwürdigkeit. „Ein vornehmer Mensch tadelt sich selbst, ein gewöhnlicher die anderen.“ (Konfuzius)
Frei sprechen.
Nur wer frei spricht und sich frei auf der Bühne bewegt, kann Blickkontakt halten und so die Aufmerksamkeit binden. Rede ist Mund-Art und nicht Text-Art. Selbst eine Rede nach Rede-Manuskript muss sich frei anhören. Zitate sollte man vorlesen – aus symbolischen Gründen und als rhetorische Abwechslung. Freie Rede wirkt glaubwürdig: Ich bin kompetent und habe etwas zu sagen. Freie Rede verhindert Schachtelsätze, erzwingt Mitdenken, entschleunigt Was ich nicht frei reden kann, können ZuhörerInnen auch nicht frei hörend verstehen. ZuhörerInnen verstehen auf Anhieb – oder gar nie. Ich brauche Stichworte auf Karteikarten? Nur keine ausformulierten Sätze. Manchmal hilft es, die Vortragssituation zu thematisieren. Wenn ich etwas auf den Flip-Chart schreibe oder Bilder auf der Leinwand zeige, bin ich es, der handelt. (Powerpoint-Texte lenken von mir ab, machen die Rednerin zum Moderator für „betreutes Lesen“.)
1. Die Botschaft
Am Anfang ein „Teaser”. Keine langweilige Gliederung. Eine Überraschung zentriert die Aufmerksamkeit. Eine überraschenden Aussage, eine kritische Frage, eine provokante Thesen, eine skurrile Geschichte, eine Gedankenreise („Stellen Sie sich vor…“), eine offenkundig ironische Bemerkung, einen paradoxen Appell. Alles ist erlaubt, um Zuhörer aufmerksam und neugierig zu machen, um Interesse zu wecken, Spannung zu erzeugen. Es geht um den emotionalen Bezug zum Publikum. Und dann muss ich erklären, was ich sagen will, wovon ich meine Zuhörer überzeugen will. Ich weiß, wer die ZuhörerInnen sind und was ich ihnen an Neuem vermitteln kann. Reden heißt Denken, Zuhören heißt mit-denken. Der „rote Faden“ (Gliederung, Vorschau auf die Argumentationslinie) sollte nicht langweilen, sondern Aha-Effekte versprechen. Meine Kommunikation ist Macht, entscheidet im Zweifelsfall über Krieg und Frieden Jede Kommunikationssituation hat (nach Friedemann Schulz von Thun) - eine Sachebene – ich habe etwas zu sagen. Relevanz, Klarheit. - eine Eben der Selbstkundgabe – ich bin eine glaubwürdige Persönlichkeit. - eine Beziehungsebene – ich schätze das Interesse und die Kompetenz der Zuhörer - einen Appellcharakter – ich habe eine Botschaft
2. Körpersprache - Die Wörter sind längst nicht die ganze Botschaft
Einer Online-Rede fehlt die körperliche Präsenz. Umso mehr Energie muss die Rednerin aufwenden, muss Freude an der Rede ausstrahlen. (Wichtig: In die Augen /Kamera/ zu schauen ist wichtiger als der Blick auf den Bildschirm. Wenn Zoom – dann sollen alle die Kameras einschalten – Augenkontakt bindet.)
In der präsenten Rede schlagen die nonverbalen Signale das Gesagte: Erscheinung, Gang, Haltung, Ausstrahlung, Gesichtsausdruck - Klang der Stimme, Mimik, Gestik. Blickfang: Suchen Sie sich freundliche Gesichter. Lächeln steckt an – wirkt sympathisch. Augenkontakt bindet das Publikum.
Was ist meine Haltung? Wie aufrecht stehe ich da? Wie bewege ich mich auf der Bühne? Körperhaltung zeigt Präsenz und unterstützt den persönlichen Ausdruck. Ich muss immer wieder Ruhe einkehren lassen, Durchatmen, mich demonstrativ besinnen. Ich will den Raum erobern, die räumliche Distanz vergrößern und wieder verringern. Die emotionale Intensität der Kommunikation spiegelt sich in Gestik und Mimi.
Gestik: Eine aktive Körpersprache macht jeden Vortrag lebendig - mit ihren „performativen Symbolen”. Weite prägnante Gesten und eine zugewandte Haltung zeugen von Sendungsfreude. Authentisch bleiben, übertriebene Schauspielerei vermeiden. Jede Person hat einen individuellen Stil. Das Verhalten auf der Bühne sollte mit dem Temperament übereinstimmen und zu der Botschaft passen. Was mache ich mit meinen Händen? Darf ich sie in die Hosentaschen stecken? Soll ich auf und ab gehen? Darf ich im Sitzen die Beine übereinanderschlagen? Darf ich ein Schreibgerät in der Hand halten? Einen Zeigestab? Die Hände reden mit: „Wir alle": Ausladende Umarmung: Arme weit ausgebreitet, Handflächen nach vorn. Faust und Zeigefinger signalisiert: Hierauf kommt es mir an! „Handkante" zeigen Sich aufrichten und den Kopf nach oben strecken, signalisiert Eskalation Den Kopf zur Seite zu neigen bedeutet Deeskalation, weiß nicht.
Mimik - Augen und Gesichtsausdruck werden als unwillkürlicher Ausdruck unsere Emotionen gelesen und können den Inhalt einer Aussage wirkungsvoll unterstreichen (oder den Redner Lügen strafen).
3. Meine Stimme. Meine Sprache.
Die Stimme und die Art und Weise, wie jemand spricht, ist für einen Menschen charakteristisch. Wie ein Fingerabdruck. Traurig oder vergnügt, müde oder dynamisch - das können die ZuhörerInnen aus der Stimme auslesen. Stimmklang und Tonlage können trainiert werden wie die Sprechweise - präzise Aussprache, angemessenes Tempo, Rhythmus. Wichtig sind Variationen der Stimmlage (Melodie, Klangfärbung) und Variationen der Lautstärke und Betonung.
Rhetorische Mittel.
- Eine klare Sprache hilft beim Verständnis. (Endkonsonanten artikulieren!) - Sätze sollen kurz, emotional und bildhaft sein. Zehn Worte Punkt, keine Schachtelsätze. - Hauptsachen gehören in Hauptsätze. Keine komplizierten Konstruktionen. - Aktive Verben erzählen von lebendigen Menschen, Substantive von Strukturen - kein „man”, kein anonymes Passiv - Wiederholungen erhöhen den Merk-Effekt. - Rhetorische Pausen oder verlangsamtes Sprechtempo erhöht die Aufmerksamkeit. - Humor: Am besten funktionieren Selbstironie und Situationskomik. - Metaphern holen Menschen mit Alltags-Assoziationen in meine Botschaft - Geschichten wecken Emotionen. Vor allem solche aus meinem alltäglichen Leben. Geschichten sollen wahr sein, einfach, möglichst konkret, unerwartet, emotional - Ich stelle die Fragen, die sich alle stellen. Anekdoten, die das Thema untermalen. - Relevanz: Ich habe eine Botschaft – die wird rhetorisch unterstrichen durch Rhythmisieren, durch Pausen. Pausen sind auch Musik.
Sprache darf schön sein, dann bringt sie die Sinne in Bewegung. Mit der Bildersprache der Metaphern schaffe ich einen emotionalen Zugang, ergänze die Argumente. - Wortklang: Fröhlich – froh, heiter // rot - feuerrot, - Fachbegriffe: Kein Plastik-Chinesisch. - Manches Komma wäre gern ein Punkt. - Nicht Schrift-Sprache verwenden!! Niemand spricht im Alltag in indirekter Rede. Symmetrie ist schön: Sprache simuliert Struktur durch „Anaphern“ (Wortwiederholungen), Alliteration Spiegel-Sätze: Wenn wir das nicht schaffen, dann schafft das uns. Beispiele für rhythmische Symmetrie: „Sein oder Nichtsein“. Shakespeare (nicht: Ich bin nicht sicher ob ich Selbstmord begehen soll.) „Ich kam, ich sah ich siegte.“ Caesar (nicht: Nach meiner Ankunft war mir die Erringung des Sieges wichtig.) Personalisierung: „Ich habe einen Traum, dass eines Tages meine vier kleinen Kindern nicht mehr nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt werden.“ Martin Luther King (nicht: Hoffentlich ist die Diskriminierung der afroamerikanischen Minderheit nach einer Generation Geschichte.)
Verbales Framing: bestimmte Worte schaffen Deutungsrahmen. Ob wir wollen oder nicht, wir können uns der Wirkung von Schlüsselwörtern nur schwer entziehen. Experimente zeigen: Wer einen Geparden gesehen hat, geht danach schneller zum Aufzug als die Kontrollgruppe, die ein Video mit einer Schildkröte gesehen hat. Nach einem Video von Unfall werden die Zuschauer gefragt: „Wie schnell fuhr das Auto, als es draufgebraust ist?“ oder mit welcher Geschwindigkeit es „aufgefahren“. Die erste Gruppe schätzt eine höhere Geschwindigkeit.
Der Schlussakkord klingt in den Ohren nach wie Glockenläuten.
Maximal drei Kernbotschaften (sachliche und emotionale).
Was zum Mitnehmen? Thesenpapier, drei Merksätze, roter Faden, Literaturhinweise – aber erst nach dem Vortrag verteilen!
Mein Video-Tipp: Matthias Pöhm https://www.youtube.com/watch?v=8O7CusRyWC4
|