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Medien-Gesellschaft

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Materalien zur Medien-Gesellschaft

Impressum      

Klaus Wolschner - Medienkulturpraxis  -   SoSe 2023, ab 17.4.2023
 
  
Wer bin ich?
Über die Macht der mündlichen und der Schrift-Sprache
 
                                                                                        
 

 - montags Blocktermine 10-14 Uhr (Raum ??) bzw. per Zoom 10-12 Uhr 
        Nachfragen/Kontakt zum LB:  klaus(at)wolschner.de     Näheres  zu den Scheinfragen hier  


22.8.2022

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Vortrag-Rede Link

Lebendige Kommunikation braucht zur Übermittlung von Botschaften das gesamte Spektrum der Sinne, Gesten, Mimik, Körperhaltung, schnelles, schweres oder leichtes Atmen, Tränen. Diese Formen der Körperkommunikation sind wie die Sprache sozial vorgeformt, geprägt. Die Schrift kann diese Vielfalt der sinnlichen Wahrnehmung nicht ersetzen, sondern nur simulieren.
Eine gute Geschichte versucht daher, die toten Buchstaben des Textes im Kopf der Zuhörer/Leser/innen lebendig, d.h. zum sinnlichen Erlebnis im Kopf werden zu lassen. Kern eines Erlebnisses ist die Wahrnehmung von Freude oder Schmerz. Wenn eine Geschichte sinnliche Empfindungen und Bilder vergangener Erlebnisse anrührt, können die mit ihnen verbundenen Gefühle neu belebt werden. Mit dem einfühlenden Nachsinnen über die Zusammenhänge zwischen der Geschichte und den erinnerten Erlebnissen wird Bedeutung produziert.

Geschichten erzählen fürs „Kino im Kopf”

Wenn Sie Zeitung lesen, dann suchen Sie manchmal gezielt nach einem Thema. Meist blättern Sie herum, gucken die Bilder an, lassen Ihr Auge über die „Schlagzeilen“ wandern. Sie suchen einen Überblick über die „aktuellen“ Nachrichten,  wollen Ihr Weltbild aktualisieren und wissen, wie die Welt sich weiter dreht. Die meisten dieser Informationen „betreffen” Ihre Arbeit nicht und auch nicht Ihr Privatleben -  sie „betreffen” Ihr Weltbild - wie Sie in meinem Kopf die Welt sehe und sich in der Welt wahrnehmen und wohl fühlen.

Und dann bleiben Sie hängen bei irgendwelchen menschlichen Geschichten.
Menschen interessieren sich vor allem für Menschen.

JournalistInnen, die viele Menschen erreichen wollen, erzählen daher Geschichten. Geschichten von Menschen wie Du und ich, die etwas besonderes erlebt haben, Geschichten von der strengen Mutter (Merkel) und den bösen Buben um sie herum, Geschichten von schrecklichen Unfällen und glücklichen Feen. Geschichten von Menschen, die ungerecht zu anderen sind oder besonders liebevoll. Geschichten, in denen ich als Leserin mein Schicksal mit dem anderer vergleichen kann. wenn Sie Ihre LeserInnen packen wollen, müssen Sie die Geschichte so plastisch erzählen, dass bei den LeserInnen Kino im Kopf entsteht.

Wenn Sie in dem Kurs Ihr Sachthema in Form eines Zeitungs-Essays „an den Mann“ oder die Frau bringen wollen, dann können Sie das in rein sachlicher Form tun. „Aktueller“ Anlass wäre eine Entdeckung oder die Neuerscheinung eines Buches.
Mehr LeserInnen erreichen Sie, wenn Sie ihre Botschaft in eine menschliche Geschichte „einpacken“. Wenn sozusagen die Menschen, die in Ihrer Geschichte leben, die Sachverhalte erklären oder mit Hilfe der Sachverhalte erklärt werden.
Was muss ich tun, wenn ich so eine „Geschichte“ schreiben will?

Faustregeln für gute Zeitungs-Essay-Geschichten

1. Sachargumente – Informationen sammeln, Recherche - Was habe ich „Neues“ für wen mitzuteilen? Welche Leseinteressen bedienen?
2. Welches Publikum möchte ich erreichen?
3. Wem sollen die Texte schmecken?  Einem kleinen Spezialpublikum oder einem Massenpublikum? Denen, die sowieso Bescheid wissen über das Thema oder denen, die mehr erfahren wollen?
4. Brauche ich Blickfänge? Bilder? Schlag-Zeilen? Wie locke ich die, denen ich etwas mitzuteilen habe, mit Schlagzeile und Foto in den Text?
5. Bilder: Wiedererkennungs-Effekt, womit Neugier wecken
6. Personalisierung: Welche „Personen“ sprechen zu den LeserInnen?
7. Auf den „Einstieg“ für den Text kommt es an. 
8. Roter Faden, Spannungsbogen - Wie erzeuge ich Spannung durch Reibung? (Provokation meiner LeserInnen oder Kontroverse im Text)
9. Was sollen meine drei Botschaften sein?
10. Mit welcher Gefühlsbotschaft entlasse ich meine LeserInnen? 

Merke:

  • Die Beurteilung journalistischer Texte ist Geschmackssache.
  • Das Ich des Autors interessiert in der Regel niemanden.

Eine Geschichte von Menschen erzählen

Durch die Geschichte sollte sich eine (oder zwei) fiktive Person wie ein roter Faden ziehen - eine halbwegs reale Person, die das Problem des Themas hat. Die Person muss lebendig vor Augen treten, der Text kann abschweifen und sachliche Zusammenhänge erklären, muss aber zurückkehren zu der Person. Oft ist es hilfreich, wenn eine Andere mit Widerspruch auftritt. Ihr gegenüber muss Person Eins ihre Halten rechtfertigen oder ihren Konflikt erläutern. Das Ende einer Geschichte – der „Schlussakkord“ - prägt oft den bleibenden Eindruck. Also nichts beiläufiges, kein Wischiwaschi, sondern eine klare Haltung. Die Person Eins erzählt, wie sie sich verzweifelt vor einen Zug geworfen hat, zieht das rot gepunktete Kleid an  -  was auch immer das Problem war.

Eine Geschichte von Büchern erzählen

Für die Darstellung von Sachthemen in Zeitungen eignet sich auch die Form des (populären) Buch-Essays. Ein aufregendes Buch ist erschienen, wer ist die Autorin? Wie ist sie auf das Thema gekommen? (Am Ende des Textes muss sie eine gute Bekannte sein.) Welche brennende Frage beantwortet das Buch? Wie wird die Antwort erklärt? Ein Buch-Essay in einer Zeitung zitiert das Buch wörtlich, aber ohne wissenschaftliche Fußnoten.
Oft ist es hilfreich, wenn ein zweites Buch mit Widerspruch auftritt. Dem gegenüber muss Autorin Eins ihre Haltung rechtfertigen oder erläutern. In der Kontroverse wird eine Aussage deutlicher.
Das Ende eines Buch-Essays ist wichtig – der „Schlussakkord“ - prägt oft den bleibenden Eindruck. Also nichts Beiläufiges, kein Wischiwaschi, kein „es könnte sein“ oder „die Zukunft wird zeigen“, kein Fragezeichen, sondern eine klare Haltung.
Von den drei erklärten Thesen die wichtigste herausstreichen, die, die in Erinnerung bleiben soll.

Autobiografische Erzählungen

Eine autobiografische Erzählung hat ein „ich” - ein mehr oder weniger literarisch geformtes Ich.  LeserInnen erwarten besonders authentisch konstruierte Einblicke in das Innere, die Gefühlswelt der  Ich-ErzählerIn. Ansonsten gelten für autobiografische Erezählungen dieselben Faustregeln, die für Texte allgemein gelten.

  • Gut lesen kann man nur, was man gut vorlesen kann. 7-11 Worte Punkt.
  • Kino im Kopf – eigene Phantasien spielen die Hauptrolle
  • Bedeutsamkeit: Eine gute Erzählung ist für die Menschen bedeutsam, die ich erreichen möchte. Es geht um ein Problem, eine Spannung.  Wenn Gut und Böse schlicht verteilt sind, löst sich die Spannung leicht auf. Richtig spannend wird es, wenn die Lösung nicht so einfach ist. Kein schwarz-weiß.
  • Ich will unbedingt ins Ausland studieren gehen gern und mein Liebhaber, mit dem ich seit vier Monaten zusammen bin, zieht nicht mit. Ist mehr erdverbunden. Hat Angst, seine sozialen Kontakte zu verlieren. Das Problem ist komplex, hat eine konkrete und eine allgemeine Dimension. Wir alle wirklich bedeutsamen Probleme. Es gibt keine einfache Lösung. Was tun?
  • Erzählungen leben von Emotionen. Eine Perlenkennte von Fakten – dann passierte das, dann das – ist meist langweilig. Emotionen sind das Salz in der Erzählung. Weil sie uns so nahe gehen und weil sie so unfassbar sind. Weil wir damit schwer zurecht kommen.
  • Muster: Gute Erzählungen haben oft ein Muster, rufen ein „déjà vue“ auf nach dem Motto: „Sowas Ähnliches ist mir auch mal passiert“. Das schafft Identifikation. Die Muster haben sich oft im literarischen Erfahrungsschatz der Menschen einen Platz geschaffen. Herkules, ein Halbgott, der Herausforderungen bestehen muss. Oder Mutter Theresa, die immer Gute.
  • Muster, die in der Literaturgeschichte vielfältig vorkommen, sind die Varianten von Liebesverrat und Ehebruch. Macht, die korrumpiert. 
  • Lebendige Menschen: Wie jede Geschichte erzählt eine autobiografische Geschichte von Menschen. Konkrete Menschen, nicht zu viele, das verwirrt. Die Akteure müssen lebendig vor Augen treten, mit Haut und Haaren, Herz und Verstand. Es gibt kein Passiv, nur agierende Personen, schlagende, hassende, liebende, argumentierende, handelnde. Personen verkörpern die Konflikte/Probleme, machen sie lebendig. Das Ende einer Geschichte – der „Schlussakkord“ - prägt oft den bleibenden Eindruck. Also nichts beiläufiges, kein Wischiwaschi, sondern eine klare Haltung. Die „Ich“-Erzählerin will sich verzweifelt vor einen Zug werfen und zieht daher ihr rot gepunktetes Lieblingskleid an.
    Tut sie es? Soll sie es tun? Ein offenes Ende übergibt das Problem dem Kopf-Kino der den LeserInnen.